Max Graetz


--- Wegbereiter der Beleuchtungs-Industrie ---

Aus: Ernst Quadt, Deutsche Industriepioniere, Berlin 1940


Es war um das Jahr 1860. Die Erfinder hatten viel Neuland entdeckt. Die deutsche Industrie wuchs und begann den Agrarstaat Preußen langsam zu einem Industriestaat umzuformen, aber Berlin - kaum siebenhunderttausend Bewohner zählend - war nach heutigen Begriffen noch sehr primitiv, vor allem im Verkehr, und besonders in der Beleuchtung. Wohl waren die ersten Voraussetzungen für die elektrische Kraft gefunden, wohl hatte man bereits das elektrische Licht entdeckt, aber es fehlte noch viel, bis diese beiden Primate einer Großstadt so weit technische Lösung finden sollten, um das bis dahin Gewohnte zu ersetzen.

Es war daher nicht so überraschend, wenn der Klempnermeister Albert Graetz sich entschloß, nicht nur Klempnerarbeiten auszuführen, sondern sich auch der Fabrikation einer ihm aussichtsreich scheinenden Sache zuzuwenden. Vielleicht meinte er mit der Entwicklung zu gehen, vielleicht, aus der Werkstatt eine Fabrik aufbauen zu können, wenn er Petroleumlampen herstellte. Sie waren jedenfalls gegen die noch üblichen Rohölbrenner ein Fortschritt, und es spricht für den Vorausblick des Meisters, wenn er in diesem Fortschritt das Sprungbrett zu einer Spezialisierung sah.

Ob bewußt oder unbewußt, sein Zusammenschluß mit dem Kaufmann Ehrich im Jahre 1866 zu der Firma Ehrich & Graetz war die Grundsteinlegung des in der ganzen Welt bekannten Industrie-Unternehmens Ehrich & Graetz, das sich heute in der dritten Generation im Familienbesitz befindet.

Lassen wir die damalige Zeit in unsere Erinnerung zurückkehren, denn wir bringen leider nur selten die zivilisatorischen Errungenschaften der Menschen, wie die Beleuchtung eine ist, mit den politischen Vorgängen zusammen und finden in der Kulturgeschichte wenig Hinweise, wie es neben der Dichtung und der Musik, neben der bildenden Kunst und der Architektur, neben der Mode und anderen Gesellschaftserscheinungen mit der Beleuchtung in den Häusern, auf Straßen und Plätzen bestellt war.

Gedanklich machen wir zumeist einen weiten Sprung vom Kienspan der alten Germanen zur Kerze, die so wundersam festlich die Zeit des Rokoko erglänzen ließ, von der Kerze zur Petroleumlampe, von der Petroleumlampe zum Gaslicht und schließlich zur heutigen elektrischen Beleuchtung. Wir vergessen ganz, daß es in dieser Beleuchtungsentwicklung viele Zwischenstufen gab. Zwischen der Kerzenbeleuchtung und den Petroleumlampen noch Rohöllampen, Oelfunzeln, wie man sagte. Wie dem Gaslicht, das erst durch den Auerstrumpf seine Vollendung erhielt, die offene Gasflamme vorausging, und wie der heute vollendeten Glühbirne die Kohlenfadenlampe den Weg bereitete. Albert Graetz hat nun in einer Zeit begonnen, die der Beleuchtung eine bedeutsame Wende brachte. Es war die Zeit, als die Petroleumlampe als allerneuester Kulturfortschritt gepriesen wurde.

In den Wohnungen konnte man die offenen Gasflammen nicht verwenden, wie sie seit 1826 "Unter den Linden" brannten. Mit dieser Beleuchtung hatte Alt-Berlin seine ehrliche Not, und sie mag ein gut Teil Schuld daran sein, daß Berlin so lange in seiner Ausdehnung gehemmt war. Erst als die Petroleumlampen an den Droschken brannten und die Straßen matt, aber doch einigermaßen hinreichend beleuchteten, fanden die Berliner den Mut, die nach dem Westen zu begonnenen Siedlungen zu unterstützen.



Erst in den Jahren nach der Revolution von 1848, als das wirtschaftliche Leben der Bürger ungehemmter, ihr Wagemut größer wurde, bevor noch der deutsch-dänische und französisch-deutsche Krieg Beruhigung auf der einen, Begeisterung auf der anderen Seite auslösten, baute man im Zuge der Potsdamer Straße weiter. Die Ansiedlungen gingen von der Gegend der Anhalter Bahn aus, erreichten die frühere Königgrätzer Straße, die zuerst Hirschelstraße hieß, ließen sehr schnell ein neues Viertel um Bernburger, Cöthener und Dessauer Straße wachsen. Die ersten Häuser Berlins fanden Anschluß an die Schöneberger Bauerngemeinde. Das Gebiet zwischen Landwehrkanal, der Tiergarten- und Königgrätzer Straße wurde in weiterer Ausdehnung mit Stadtvillen besetzt. Zu einem Luxusviertel wurden Viktoria-, Regenten- und Hohenzollernstraße. Schließlich wurde das Potsdamer und Tiergartenviertel Berlin einverleibt und ein neuer Bebauungsplan für Berlin und das sich schnell entwickelnde Charlottenburg beschlossen. Die Berliner Stadtmauern wurden niedergelegt, und im Jahre 1865 schaukelte gemächlich die erste Pferdebahn von Berlin nach Charlottenburg. Berlin war im Werden.

In dieser Zeit hatte das Handwerk viel zu tun. In dieser Bauzeit, da man es wagte, aus dem Kern der Stadt in das Weichbild überzusiedeln und nun auch am Abend gezwungen war, weitere Straßen entweder zu Fuß, mit der Droschke, dem Pferde-Omnibus oder der Pferdebahn zurückzulegen, war es jedenfalls ein zeitgemäßer Einfall, an eine bessere Beleuchtung der Straßen, der Wohnungen und der Wagen zu denken.

Altert Graetz blieb nicht dabei, die althergebrachten und primitiven Petroleumlampen in größerer Menge herzustellen, sondern er fand für diese Lampen neue Formen und einige Verbesserungen die sein Unternehmen bekannt machten. Er arbeitete indessen im Rahmen der damals noch beliebten handwerklichen Betriebe. Jede Lampe war Handarbeit, und so kam es, daß die Formen der Erzeugnisse vielfach wechselten und viele künstlerisch vollendete Lampen entstanden, auch auf Bestellung angefertigt wurden.

Mit Albert Graetz rangen viele andere deutsche Industrie-Pioniere um die Ausweitung ihrer Betriebe, um die Anerkennung ihrer Erfindungen. Aktiengesellschaften taten sich auf, die nicht in kleinen Werkstätten arbeiteten, sondern Fabrikgebäude erbauten und mit Maschinenkraft herzustellen begannen. Und doch wird der bescheidene Klempnermeister seine Ziele nicht so weit gesteckt haben, um an Stelle der Werkstatt in der Dresdener Straße ein Fabrikgebäude zu erbauen. Ihm genügte für seine Aufträge und für seine Leistungsmöglichkeit der kleine Raum. Er wird aber Stolz gewesen sein, als einer der ersten die Beleuchtung der Stadt Berlin und der Wohnungen gefördert zu haben.

Jedenfalls hat er mit einer schweren Konkurrenz kämpfen müssen, da er selbst in den Gründerjahren nicht so recht auf den grünen Zweig kam. Sein Teilhaber Ehrich starb bald, und seitdem mußte er die ganze Last der Verantwortung für die Firma allein tragen. Er wurde aus seiner Not und seinem Ringen mit der Konkurrenz, der in diesen Jahren größere Mittel zu Verfügung standen, erst durch seinen Sohn Max Graetz befreit.


Der zweite Mann am Werk


Hätte der Vater nicht den Grundstein zu dem Unternehmen gelegt und sich einseitig auf die Fabrikation von Lampen versteift, wäre der Sohn wahrscheinlich einen anderen Weg gegangen. Also ist es schon dem Vater zu danken, daß in den folgenden Jahrzehnten die spezialisierte Arbeit zu einem spezialisierten Betrieb führte, der die Beleuchtung und alles, was mit ihr zusammenhing, pflegte und sich zu einem mächtigen Werk in der Lebensarbeit eines Mannes auswuchs.

Und doch hatte Albert Graetz mit seinem Sohn Max zunächst keine reine Freude. Am 6. Dezember 1861, also fünf Jahre vor der Geschäftsgründung, wurde er geboren. Der Kleine hantierte bereits in der Werkstatt herum, als sie eben gerade eröffnet war, stand überall im Wege, ließ sich schelten und stoßen, aber er wich nicht, weil ihn die praktische Tätigkeit in der Werkstatt so sehr interessierte. Dem Vater lag nichts daran. Er wollte als ehrsamer Berliner Bürger aus seinem Sohn etwas machen und hatte durchaus nicht im Sinn, ihn ebenfalls Handwerker werden zu lassen.

Der Realschüler Max Graetz aber war nicht für das Sitzen. Wenn er auch leicht begriff, so lernte er doch ungern, beschäftigte sich lieber mit Basteleien und machte seinem Lehrer das Leben schwer, so daß dieser immer wieder beim Vater Klage zu führen hatte. Gute Ermahnungen und Strenge halfen nichts. Es kam der Tag, da der Sechszehnjährige endlich sein Temperament nicht mehr zügeln konnte und infolge einer Ungerechtigkeit des Lehrers mit diesem in Streit geriet und den alten Herrn so rücksichtslos an seinem langen Bart zupfte, daß dieser die Waffen strecken, aber seiner Autorität wegen dafür sorgen mußte, daß dem unbändigen Jungen die Tore der Schule verschlossen blieben.

Für den Max, sagte er dem Vater, käme nur das Rauhe Haus in Hamburg oder Amerika in Frage. Das Rauhe Haus, weil er dort mit eiserner Strenge erzogen werden würde, Amerika, weil er sich, nach der Ansicht des alten Herrn, dort austoben konnte. Denn Amerika galt als das Land, wo die Ellenbogenfreiheit und das Recht des Stärkeren herrschte.

Max Graetz arbeitete zunächst einmal in der Werkstatt seines Vaters. Er galt nicht als Lehrling, sondern war bei diesen Arbeiten sein eigener Herr. Er wußte aber um die Klempnerei Bescheid und verstand es besser als mancher Geselle, eine hübsche Lampe zu bauen. Nach langer Ueberlegung und weil er selbst einsah, der Sturm und Drang in diesem Jungen brauche ein Ventil, um auszuströmen, gab der Vater schließlich seine Einwilligung zur Abfahrt nach Amerika.



Man schrieb das Jahr 1877, als Max Graetz sein Bündel schnürte. Für das damals gerade aufblühende Deutschland, dessen wirtschaftlicher und kultureller Aufschwung nach dem Kriege 1870/71 ja bekannt ist, hatte er wenig Sinn. Den Krieg hatte er als Zehnjähriger erlebt, die Heimkehr der siegreichen Truppen durch das Brandenburger Tor war für ihn das große Erlebnis, aber ein noch größeres dünkte ihn diese weite Fahrt in das unbekannte, gelobte Land. Von Bremen schiffte er sich, kaum sechzehn Jahre alt, ein. Der Vater hatte ihm runde hundert Mark in die Hand gedrückt. Der Betrag langte nicht zur Ueberfahrt, also nahm der Junge in Bremen jede Beschäftigung an, die er erhielt, und bewies dabei im Sparen eine Zähigkeit, die seinen eisernen Charakter erkennen ließ, ein Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren. Die Ueberfahrt hatte er sich bald zusammengespart und gehungert, und mit stolzer Brust ging es auf einem leichten Postdampfer in See.

Im Kanal aber, - und so begann wirklich das Abenteuer - , stieß das Schiff mit einem englischen zusammen. Beide gingen unter. Das Schicksal meinte es jedoch gut mit dem jungen Auswanderer: Von den Passagieren und Mannschaften wurden nur wenige gerettet, darunter er, Max Graetz, der eine Bohle erreicht hatte, sich an sie klammerte und mit ihr etwa zwölf Stunden auf dem Wasser trieb, bis man ihn fand. Er erzählte in späteren Jahren immer wieder von diesem grausigen Erlebnis, aber auch von seinem festen Glauben , daß er gerettet würde. Auf der Bohle mitten im kalten und einsamen Wasser treibend, schweiften seine Gedanken mehr nach Amerika als nach Berlin zu seinem Elternhause. Gewiß mag ihn dieser erste Faustschlag der Vorsehung nachdenklich gemacht und so beeindruckt haben, daß er wertvolle Lehren für das ganze Leben gewann. Aber an Land und wieder nach Bremen geschafft, ließ er von dem Plane, Amerika zu erreichen, nicht ab. Wieder nahm er selbst die geringste Arbeit an und sparte und darbte, bis er sich wieder einen Platz auf einem Dampfer sichern konnte.

Diesmal ging die Fahrt ohne Zwischenfälle, und der junge Passagier erlebte sie mit fieberndem Herzen. In Newyork, das sich damals erst in der Entwicklung befand und gerade die Einwohnerzahl des soeben von ihm verlassenen Berlin, also siebenhunderttausend zählen mochte, stürzte er sich mit jugendlichem Schwung in das ungewohnte Leben, bangte nicht vor dem Fremden und fürchtete nichts. Er konnte arbeiten und scheute auch keine Arbeit. Aber in diesem jungen Amerika, und besonders in Newyork war es damals schon wie heute: so leicht konnte keiner festen Fuß fassen, und um Arbeit zu erhalten, gehörte Glück. Nach einer zusagenden Arbeit mußte man lange suchen, eine einträgliche aber war schwer zu finden. Und das, obwohl in riesigem Ausmaß gebaut wurde, obwohl die Industrie die neuesten technischen Erfindungen nutzte und sofort ins Große ging, obwohl die Spekulation keine Hemmung kannte und die Jagd nach dem Gelde so viele unter die Räder kommen ließ. Auf der anderen Seite brachten die Dampfer aus allen Ländern der Erde neue, unverbrauchte Kräfte ins Land, die zum größten Teil zuerst in Newyork Fuß zu fassen suchten und erst später, wenn sie hier kein Fortkommen fanden, sich ins Land wagten und die Kolonisatoren oder auch Vagabunden wurden, von denen die Geschichte Amerikas erzählt.

Max Graetz hatte keine Mittel und tat jede Arbeit. Er schlug sich schlecht und recht durchs Leben. Keinen Tag aber hat er, allein unter Fremden, ganz auf sich gestellt, immer um Arbeit und Nahrung sorgend, bedauert, den Sprung über den großen Teich gewagt zu haben.

Und wieder half ihm die Fügung, wieder bot ihm das Glück, das ihn auserwählt zu haben schien und ihm sein ganzes Leben hindurch besonders gewogen war, die Hand. Er erlebte eine Episode, wie sie nur in Romanen erzählt wird. Eines Abends durch die Straßen schlendernd, hörte er aus einem Bedürfnishäuschen gellende Hilferufe. Mit wenigen Schritten war er zur Stelle und sah, wie ein verlumpter Kerl einen älteren Herrn beraubte, sich seine goldene Uhr und Brieftasche bereits angeeignet hatte. Max Graetz war breitschultrig, kräftig, scheute keinen Gegner. Er überlegte also nicht lange und schlug den Verbrecher zu Boden, nahm ihm seine Beute ab und bot dem Ueberfallenen an, ihn in Sicherheit zu bringen. Der alte Herr war ihm dankbar. Auf dem Wege kam man ins Erzählen, wobei sich herausstellte, daß der Ueberfallene ein Metallwarenfabrikant war. Max Graetz konnte behaupten, aus der Branche zu sein, denn er hatte ja nicht nur bei seinem Vater, sondern verschiedentlich auch vorübergehend als Arbeiter und Handlanger in Metallwarenfabriken gearbeitet. Der Amerikaner fragte nicht lange, wieweit die Behauptungen seines Retters zutrafen. Er war ihm Dank schuldig, und es konnte sich ja immer noch herausstellen, wie der junge Mann zu verwenden war. Also stellte er ihn bei sich ein.

In dieser ersten gutbezahlten Stellung zeigte der junge Deutsche, was er konnte und was er jetzt schon gelernt hatte. Es dauerte nicht lange, da war er zum Meister aufgestiegen. Und immer wieder kam er mit Erfindungen und Verbesserungen, einmal auch mit seiner ersten größeren Erfindung auf dem Gebiete der Lampenfabrikation. Sie wurde patentiert, und sein Arbeitgeber kaufte ihm die Erfindung gerne ab.

Max Graetz, nun im Besitze einer gesicherten Existenz, benutzte die Muße und Ruhe, sich in Newyork und Amerika gründlich umzusehen, die Geheimnisse der jungen amerikanischen Industrie abzulauschen und für sein Leben und seine spätere Aufgabe zu lernen. Er sah hier nicht nur, wie die Kaufleute arbeiteten, wie organisiert, wie die Arbeit vereinfacht wurde, er sah auch die Fortschritte auf allen Gebieten und wurde durch diese Zusammenballung der neuen Technik aufmerksam, wie sich die technische Entwicklung in der Welt vollzog.
In drei Jahren war er ein gefestigter, fertiger Mann, der, nun innerlich gereift und mit vielen Erfahrungen, wieder den Lockungen der Heimat folgte. Er hatte sich in der Ferne seine Gedanken über die Werkstatt und die Spezialarbeit seines Vaters gemacht und erkannt, daß sein Vater (wohl rein gefühlsmäßig) auf dem richtigen Pferde saß. Er selbst wollte es zum Laufen bringen.

So traf er wieder in Berlin ein und nahm Arbeit bei seinem Vater. Gleichzeitig war auch sein Bruder Adolf, der Kaufmann geworden und sprachgewandt war, viel gereist und gelernt hatte, zum Vater gekommen. Beide Söhne legten sich mit vereinten Kräften in die Riemen, der eine als Kaufmann, der andere als erfahrener Techniker, als Praktiker, Konstrukteur, als Neuerer und Erfinder.
Die Werkstatt in der Dresdener Straße wurde bald zu klein, so wurde ein Fabrikgebäude in der Lausitzer Straße gekauft. 1889 nahm der Vater beide Brüder als Teilhaber auf. Ihre junge Kraft, ihr Können hob die Zahl der wenigen Arbeiter, so daß Ende der achtziger Jahre bereits einhundert Mann beschäftigt wurden und der Export nicht nur in Gang kam, sondern sich in schnellem Aufstieg entwickelte.

Während mit der Erfindung des genialen Carl Auer Freiherr von Welsbach im Jahre 1886 die bisherigen Düsen- und Schnittbrenner zu einer wesentlichen Verbesserung des Gaslichts gewandelt wurden und der Gasglühstrumpf um seine Anerkennung rang, machte noch die Petroleumlampe einige wichtige Etappen ihrer Entwicklung durch. Max Graetz gab die Anregung zu einer sogenannten Wunderlampe, der ersten wirklich brauchbaren Luftzug-Petroleumlampe mit Brandscheibe, die den einfachen Dochtbrenner ablöste, und brachte später die Starklichtlampe, die bis zu zweitausend HK entwickelt wurde, heraus. Und als im Jahre 1892 sich endlich das Auerglühlicht durchgesetzt hatte und man bereits an das elektrische Licht, zu dem alle Voraussetzungen vorhanden waren, denken mußte, stand das Unternehmen Ehrich & Graetz auf festen Füßen.

Das vierundzwanzig Morgen große Gelände in Treptow war erworben, und im Jahre 1899 konnte die geräumige neue Fabrik bezogen werden. Aus der kleinen Werkstatt in der Dresdener Straße war, seitdem die beiden Söhne Max und Adolf dem Vater zur Seite standen, in einem Zeitraum von etwa achtzehn Jahren ein Industrie-Unternehmen gewachsen, das nun bereits großes Ansehen in Berlin, in Deutschland und in der Welt hatte, denn die Lampen der Firma Ehrich & Graetz eroberten sich schnell die Welt und waren begehrt, besonders dort, wo man an Gaslicht und später an elektrisches Licht noch nicht denken konnte. Zudem hatte der unermüdliche, weitblickende Max Graetz den engen Rahmen der Fabrikation bereits gesprengt. Er erweiterte 1903 die Produktion durch die Herstellung von Petroleumöfen und Petroleumkochern, die sich ganz vorzüglich als Exportartikel eigneten.


Die große Umstellung


Nun bewies Max Graetz aber, daß er es nicht bei einem Erfolg bewenden ließ, sondern den Weitblick besaß, die technischen Neuerungen zu nutzen und durch elastische Einschaltung den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen.Wie sein Vater den Vorteil der Petroleumlampe vor der Rohöllampe erkannt hatte, so sah er schnell ein, daß die Petroleumlampe durch die Gaslampe bald verdrängt werden würde. Und er mühte sich nicht, seine einseitige Fabrikation zu verteidigen, sondern wurde begeisterter Anhänger des Gasglühlichtes. Doch nahm er die Fabrikation der Gaslampen nicht auf, um mit anderen zu konkurrieren, sondern mehr als drei Jahre experimentierte er, um das hängende Gasglühlicht durchzubilden. Und als er endlich mit glücklichem Griff wichtige Patente erwerben konnte, kam er überraschend mit dem "Graetzin-Licht" auf den Markt. Man kann in jeder technischen Abhandlung über diese wertvolle Erfindung nachlesen, die dem Auerlicht erst die Vollendung brachte und das Gaslicht zu einer vollkommenen Lichtquelle machte. Das hängende, nach unten brennende Gasglühlicht, der Graetzinbrenner, war so konstruiert, daß er eine Gasersparnis von zweiundvierzig Prozent brachte. Selbstverständlich machte auch diese wertvolle Erfindung noch weitere Verbesserungen durch, denn Max Graetz ruhte nicht eher, als bis er planend, beobachtend, technisch geschult, Möglichkeiten schnell erfassend, die zunächst für den Hausgebrauch gedachte Lampe auch für die Außenbeleuchtung herstellen konnte, und zwar nicht nur für Niederdruck, sondern auch für Preßgas. Er erhielt mehrere neue Patente und meldete neue Gebrauchsmuster an. So hatte er sich ein Produktionsgebiet abgesteckt, daß von derart großer Bedeutung war, wie selten einmal eine Erfindung, die eine grundsätzliche Neuerung praktisch verbessert hat.

Das "Graetzin-Licht" war der ganz große Schlager, und wenn irgendwo in der Welt das inzwischen so schnell gewachsene Unternehmen noch keine Namen hatte, so ward mit diesem Inland- und Exportartikel der Ruf ein für alle Mal gesichert.

Und doch sollte in späteren Jahren dieser "Schlager", dieser wertvolle Baustein der Aufwärtsentwicklung zur Bedeutungslosigkeit herabsinken. Es wurde schon gesagt, daß zur Zeit, da das Gaslicht entwickelt wurde, bereits die elektrische Beleuchtung ihren Siegeszug antrat. Max Graetz säumte nicht, als er mit seinem Patent dem Gaslicht die letzte Weihe gegeben hatte, die Frage der elektrischen Glühlampe zu prüfen. Neben seiner Arbeit auf dem Gebiet der Gaslampen und Geräte, neben der selbstverständlich weiter sorgsam gepflegten Produktion von Petroleumlampen, Petroleumkochern und Petroleumöfen, begann er die Glühlampe nach eigenen Gedanken und aus seinen technischen Erfahrungen zu gestalten. Er machte aber dabei die Beobachtung, daß ein Netz von Schutzrechten sowohl in Deutschland wie in Amerika jede Neuerung auf diesem Gebiete unmöglich erscheinen ließ. Und deshalb gab er, Opfer bringend und auf investiertes Kapital verzichtend weitere Bemühungen auf. Die freien Kräfte setzte er desto glücklicher auf anderen Gebieten seiner Produktion ein. Er bildete den Bau von Geleuchten aller Art für Gas und flüssige Brennstoffe weiter durch und widmete sich der Verdampfung des Petroleums, das aus unter Druck stehenden Behältern in fast gasförmigem Zustande zu den Brennern geleitet wurde. Auf diese Weise entstanden Petroleumlampen und Petroleumöfen, die nicht nur einen außerordentlich günstigen Nutzeffekt und damit geringen Brennstoffverbrauch aufwiesen, sondern sich auch zur Beheizung von Räumen der verschiedensten Art und Größe eigneten. Im Zelt des Beduinen, in den indischen Hütten, den Ranches der Gauchos und auf den Obstwagen der Straßenhändler Berlins sind die "Petromax-Laternen" ebenso bekannt wie auf den Fischerbooten an den Meeresküsten, wo ihr starkes Licht die Fische in die Netze lockt.

Da nun aber die elektrische Beleuchtung rasend schnell Eingang fand, wurde auch die Fabrikation von elektrischen Lampen und Kronen aufgenommen. Als eines der ersten Unternehmen wandte sich Ehrich & Graetz auch der Herstellung elektrischer Hausgeräte zu und brachte wichtige, von Patenten geschützte Neuerungen heraus.

Die Fabrik, das Werk war nun vielseitig, umspannte mit seiner Arbeit drei Menschenalter einer Kraft- und Lichtentwicklung und glich die Produktion auf diesen Gebieten elastisch, je nach den Bedürfnissen, aus.

Auf weiten Reisen hatte Adolf Graetz, in harmonischer Zusammenarbeit mit seinem technisch vorwärts drängenden Bruder für die Weltgeltung des Unternehmens und für den Export gesorgt. Er hatte erreicht, daß achtzig Prozent der Fabrikation für den Export bestimmt war.


Die Periode der dritten Generation


Zu früh, schon 1909 starb Adolf Graetz. Das Unternehmen blieb indessen weiter im Besitz der Familie. Die Erben des Verstorbenen wurden ausgezahlt. Dafür traten als Nachwuchs und Hüter der Arbeit ihrer Väter die beiden Söhne Max Graetzs, Erich und Fritz, in das Unternehmen ein. Fritz 1911, um sich nach einer kaufmännischen Vorbildung weiterzubilden und einzuarbeiten. Erich 1912, um sein auf der Hochschule erworbenes technisches Wissen zu vertiefen. Zunächst waren sie Mitarbeiter ihres noch lange nicht müden, immer rührigen Vaters, der damals gerade seinen fünfzigsten Geburtstag feiern konnte. Der 1914 hereinbrechende Krieg zwang auch die Firma Ehrich & Graetz zu einer Umstellung. Infolge ihrer Arbeit für die militärischen Bedürfnisse schwoll die Arbeiterzahl in den Kriegsjahren auf siebentausend an. Es mußte immer mehr gebaut, es mussten neue Maschinen aufgestellt werden. Jedenfalls hatte die Produktion in wenigen Wochen ein ganz neues Gesicht erhalten. Der Vater war nach wie vor der Erste und Letzte im Werk, zumal seine Söhne in den Krieg zogen, aus dem beide verwundet, Erich aus der englischen Gefangenschaft, endlich heimkehren konnten.

Sie hatten jetzt mit dem Vater über die Umstellung des Unternehmens zu entscheiden und entschlossen sich, die Produktion jener Gegenstände wieder aufzunehmen, die den Aufbau, das Wachsen, die Weltgeltung der Firma herbeigeführt hatten. Also wurde wieder mit der Fabrikation der früheren Petroleumlampen, der Petroleumöfen und Petroleumkocher, der "Petromax-Brenner", des "Graetzin-Lichts" begonnen, wurde wieder die Fabrikation elektrischer Hausgeräte und elektrischer Lampen und Kronen aufgenommen, und im günstigen Augenblick ein eigener Radio-Apparat entwickelt, der es an Aussehen, Präzision und Klangschönheit mit den anderen Rundfunk-Apparaten aufnehmen konnte. Schließlich wurde angesichts der Entwicklung des Autos und Motorrades ein Vergaser für Automobile und Motorräder und ein wichtiges Gerät für Flugzeuge konstruiert, das ein gangbarer Artikel des Unternehmens wurde.

Die Inflation hat das Unternehmen, wie alle deutschen Industrie- und besonders Familienunternehmen, hart angepackt, aber neben dem erfahrenen Vater wirkten jetzt die völlig in der neuen Zeit lebenden Söhne, die es verstanden, schnell wieder den Export in die Wege zu leiten, alte Verbindungen neu zu beleben und neue zu knüpfen und Ehrich & Graetz wieder zu einer der ersten Exportfirmen zu machen.

Es mag dem Laien unverständlich erscheinen, daß die Firma Ehrich & Graetz als Träger der Gasbeleuchtung bis heute immer größere Ausdehnung gewann. Er wird dabei von der falschen Annahme ausgehen, das elektrische Licht sei inzwischen so weit vorgeschritten, daß der Gasbeleuchtung in Wohnungen und namentlich auf den Straßen und Plätzen der Städte immer weniger Boden blieb. Solche Ansichten kommen meist daher, daß viele Menschen das hochqualifizierte Gaslicht, wie es unsere großen Städte beleuchtet, mit elektrischem Licht verwechseln, weil sie sich kaum jemals ein Bild über die heutige Beleuchtungstechnik der modernen Großstadt gemacht haben. Aus diesem Grunde lohnt es sich darauf hinzuweisen, daß in Berlin im Jahre 1936 91711 und 1937 sogar 94673 Gasflammen brannten, also sogar eine Vermehrung der Gasflammen erfolgte. Die elektrischen Flammen der Straßenbeleuchtung blieben wesentlich hinter diesen Gasflammen zurück. Im Jahr 1936 waren 22591, im Jahre 1937 24674 elektrische Flammen in Betrieb. (Flamme ist der Begriff für die in Betrieb befindlichen Einbaubrenner- und Gruppenbrennerlampen für ein Bündel von Glühkörpern, die zusammengeschaltet werden können.) Es ist interessant, in diesem Zusammenhang einmal durch die Berliner Stadtteile zu wandern und dort das Verhältnis der elektrischen Flammen zu Gaslicht zu überprüfen. Im Verwaltungsbezirk Berlin-Mitte brennen beispielsweise 6804 Gasflammen und nur 1178 elektrische Lampen, im Bezirk Tiergarten war das Verhältnis 6218 zu nur 501, im Wedding 5135 zu 425, der Bezirk Prenzlauer Berg wies 5124 Gaslampen und 115 elektrische Straßenlampen auf, der Bezirk Horst Wessel 4220 zu 153, Kreuzberg 5671 zu 662, der Bezirk Charlottenburg hatte 9906 Gas- und 1729 elektrische Flammen, Spandau 4315 und 1281, Wilmersdorf 6858 und 943, Zehlendorf 4420 und 1053, Schöneberg und Steglitz allein zeigten ein umgekehrtes Verhältnis, da in Schöneberg nur 1392 Gasflammen und 2067 elektrische Lampen brennen, in Steglitz 2579 zu 5204. Der Bezirk Tempelhof zeigt 3420 Gas- und 1960 elektrische Beleuchtungsstellen, Neukölln 4855 zu 1635, Treptow 3581 zu 1603, Köpenick 3102 zu 1769, Lichtenberg 5871 zu 493, Weißensee 2493 zu 474, Pankow 3869 zu 504, Reinickendorf schließlich 4840 Gasflammen zu 925 elektrischen Lampen. Diese von der Stadt selbst gegebene Uebersicht wird viele überraschen. Das Gaslicht dominiert, und es herrscht nicht nur in Berlin vor, sondern überall. Die Länge der beleuchteten Straßen in den Gemeinden mit über 10000 Einwohnern ist mit 44000 Kilometern ermittelt worden, davon entfallen 41,2 Prozent auf die elektrische und 58,8 Prozent auf die Gasbeleuchtung. Interessant ist, daß der größte Teil der elektrischen Brennstellen sich in Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern befindet. Das ergibt sich wohl daraus, daß namentlich das Land und die kleinen Städte in den letzten Jahrzehnten überhaupt erst Straßenbeleuchtung einführten und sich aus praktischen und Billigkeitsgründen von den neuen Ueberlandzentralen beliefern ließen.

Seit dreißig Jahren werden Graetzin-Gasgeleuchte hergestellt, und seit dieser Zeit hat die Firma Ehrich & Graetz, bis 1930 unter der starken und umsichtigen Führung von Max Graetz, als eines der ältesten deutschen Unternehmen auf diesem Gebiet ihre Kräfte der Vervollkommnung der Gas-Innen- und Außenbeleuchtung gewidmet. Unter Max Graetz und dann seinen beiden Söhnen und Nachfolgern sind viele neue Geleuchtkonstruktionen geschaffen worden, wie unter anderem die kurz bemessenen Graetzin-Gas-Straßengeleuchte, die bei gleicher Lichtpunkthöhe wie die normalen Hängegeleuchte einen erheblichen kürzeren und daher billigeren Mast benötigen, sowie die neuzeitlichen Graetzin-Ansatzgeleuchte für schattenlose Straßenbeleuchtung. Ferner sind die bewährten Graetzin-Geleuchte normaler Bauart und zwar Graetzin-Gruppenbrenner-Hängegeleuchte und Graetzin-Gruppenbrenner-Aufsatzgeleuchte, die Graetzin-Niederdruck-Gas-Fernzünder, Graetzin-Brenndruckregler, Graetzin-Schmutz-und Wasserabschneider sowie die Graetzin-Geleuchte für Innenbeleuchtung konstruiert, verbessert und auf den Markt gebracht worden. Sie sind es, die so oft das Gaslicht mit dem elektrischen Licht verwechseln lassen, und haben in der ganzen Welt, zumeist an bevorzugten Plätzen, Aufstellung gefunden.

Schauen wir in Berlin umher, so fällt uns unter anderem die strahlende Beleuchtung verschiedener Ausstellungs- und Verkaufsräume der Berliner Städtischen Gaswerke A.G. auf, eine imposante Schaufensterbeleuchtung mit Graetzin-Gruppenbrenner-Lampen. Die gleichen Lampen machen die Königin-Elisabeth-Straße in Berlin taghell, Graetzin-Preßgas- und Niederdruck-Lampen stehen an der Warschauer Brücke und befinden sich an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Graetzin-Lampen in verschiedener Abwandlung ragen auf hohen Kandelabern am Belle-Alliance-Platz, in der Invalidenstraße, am Kurfürstendamm und auf vielen Berliner Bahnhöfen. Diese kleine Aufzählung Berliner Straßen will nur andeuten, welche Bedeutung das Gaslicht, welchen Wert die Gaslampen-Konstruktion von Ehrich & Graetz besitzt. Wer in Deutschland gereist ist, wird unter vielen Gaslampen der Firma Ehrich & Graetz gewandert sein, ohne es zu wissen. Ob er sich in Wiesbaden befand, im Kurpark von Baden-Baden wandelte, den Lichterglanz am Hamburger Alsterufer bewundert hat - von oben erstrahlten Graetzin-Lampen. Und wer sich im Auslande aufhielt, hat wahrscheinlich nie gedacht, an den hohen Lichtmasten und oben an den Lampen das Signum einer Berliner Firma, den Namen Ehrich & Graetz zu finden. In allen Weltstädten stehen die mächtigen Kandelaber, in Deutschland gebaut, mit Graetzin-Lampen, und selbst die modernen Straßen in den Tropen werden von deutschem Licht erhellt. Deutsches Licht leuchtet in der ganzen Welt! Ein Erfolg der Arbeit eines Mannes und seiner Söhne, eines Unternehmens, das in nie ruhendem Eifer festgewurzelt wuchs und der Wegbereiter der modernen Gastechnik war.

Als Max Graetz sich 1930, siebenzig Jahre alt, zur Ruhe setzte und die Leitung des Werkes seinen beiden Söhnen übergab, von denen Erich Betriebsführer und Vorsitzender der Familien-A.G. wurde, konnte er auf ein segensreiches Leben, auf eine erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Schon 1909 war er durch die Verleihung des Kommerzienrat-Titels geehrt worden; welches Ansehen und welche Beurteilung er aber in der Industrie und in Fachkreisen genoß, kann man am besten aus den Glückwünschen lesen, die ihm aus Anlaß dieses Geburtstages zugingen.




So schrieb der Vorsitzende der Deutschen Beleuchtungstechnischen Gesellschaft, Dr. A. Meyer: "Zur Vollendung des siebenzigsten Lebensjahres spricht Ihnen die Deutsche Beleuchtungstechnische Gesellschaft die herzlichsten Glückwünsche aus. Von früher Jugend an haben Sie sich mit der praktischen Seite der Lichttechnik befasst und in einem arbeits- und erfolgreichen Leben große Leistungen auf dem Gebiete unseres Faches erzielt. So sahen Sie die Lichttechnik, die sich zur Zeit Ihrer Jugend noch in den Kinderschuhen befand, zu einem wichtigen Gebiet des technischen Schaffens heranwachsen und haben sie persönlich durch neue Gedanken vielfach fördern helfen. Die Beleuchtung durch flüssige Brennstoffe und Gas, der Sie sich in erster Linie gewidmet haben, vermittelt einem großen Teil der Menschheit die Segnungen des künstlichen Lichtes. An dem hohen Stand dieser Technik haben Sie selbst, sehr geehrter Herr Kommerzienrat, hervorragenden Anteil, und wenn die Beleuchtung durch Verbrennungslichtquellen die erste Grundlage für eine Lichttechnik im heutigen Sinne geworden ist und auf die Entwicklung ihrer jüngeren Schwester, der elektrischen Beleuchtung, vielfach befruchtend eingewirkt hat, so ist dies zu einem wesentlichen Teil Ihrer führenden Mitwirkung zu danken. Wir sehen in Ihnen einen der tatkräftigen Pioniere unseres Wissensgebietes und geben der Hoffnung Ausdruck, daß Sie Ihre wertvolle Arbeit zum Besten der gesamten Lichttechnik noch viele Jahre mit ungeminderter Frische und Zielsicherheit fortsetzen werden……"

Es schrieb der Vorstand des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern E.V.: "Zu dem Abschluß Ihres siebenzigsten Lebensjahres ist es uns namens des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern ein Bedürfnis, Ihnen herzlichste Glückwünsche auszusprechen. Sie sind ein Pionier der Gasbeleuchtung von denkbar verdienstlichster Art aller Zeit gewesen und sind es noch jetzt. Mögen Sie Ihrer fruchtbringenden Tätigkeit an der Spitze Ihrer ausgezeichneten Fabrik noch lange in der vollen Leistungsfähigkeit erhalten bleiben, die in der Entwicklung Ihres Unternehmens nicht minder wie in dem Nutzen des Gasfaches überhaupt, der aus Ihrer Tätigkeit entsprossen ist, ihren Ausdruck findet!"

Von der Industrie- und Handelskammer zu Berlin liegt folgendes Schreiben vor: "Zu dem heutigen Tage, an dem Sie das siebenzigste Lebensjahr vollenden, sprechen wir Ihnen unsere besten Glückwünsche aus. Wir gedenken bei diesem Anlaß mit besonderer Anerkennung Ihrer wertvollen Mitarbeit an den Aufgaben der Berliner und Potsdamer Kammer, an denen Sie nicht nur in Wahrung der Interessen des von Ihnen vertretenen Geschäftszweiges, sondern darüber hinaus zum allgemeinen Nutzen von Berlins Handel und Industrie bereitwillig teilgenommen haben. Neben dieser Anerkennung Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit ist es uns ein besonderes Bedürfnis, Ihrer wertvollen persönlichen Eigenschaften zu gedenken, um deretwillen Sie sich die Hochschätzung der Mitglieder unserer Kammer erworben haben."

Und dann der Glückwunsch der Vereinigung der Elektrizitätswerke E.V., Berlin: "Zu Ihrem siebzigsten Geburtstage beehren wir uns, Ihnen unsere herzlichsten Glückwünsche auszusprechen. Unter den Förderern der Elektrowärme-Geräte nahmen Sie seit Jahren einen führenden Platz ein, und gerade bei der starken Anteilnahme, die die Elektrizitätswerke an der Entwicklung der Elektrowärme nehmen, wissen wir Ihren Anteil auf diesem Gebiet besonders hoch einzuschätzen. Diese Arbeiten haben auch Ihre Firma und uns in den letzten Jahren im Rahmen der gemeinschaftlich behandelten Werbefragen aufs engste zusammengeführt, und mit unseren aufrichtigsten Wünschen zu ihrem Ehrentage verbinden wir die Hoffnung, daß uns noch viele Jahre fruchtbringender Gemeinschaftsarbeit beschieden sein mögen.

Die eigentlichen und charakteristischen Leistungen Max Graetz jedoch finden wir vor allem in dem Schreiben der Vereinigung der Fabrikanten im Gas- und Wasserfach E.V.: "Der Vereinigung der Fabrikanten im Gas- und Wasserfach ist es eine ganz besondere Freude, Ihnen zur Feier Ihres siebenzigsten Geburtstages die herzlichsten Glückwünsche aussprechen zu können. Nach einem langen, arbeitsreichen und segensvollen Wirken in dem Ihnen durch das väterliche Werk vorgezeichneten Arbeitskreise stehen Sie heute dem Erfolg dieser Arbeit gegenüber. Nach Ihrem Eintritt in das väterliche Werk verstanden Sie es, in kurzer Zeit dieses Unternehmen so zu vergrößern, daß die Fülle der Arbeit an der Gründungsstelle des Werkes nicht mehr bewältigt werden konnte und neue, weite Räume der wachsenden Fabrikation dienen mussten. Aus der Fülle Ihrer Erfinder- und Forschertätigkeit möchten wir nur die unser engeres Fachgebiet angehenden Erfolge hervorheben. Die Verbesserung der Gaslampe und im besonderen das hängende Gasglühlicht machten Ihren Namen in kurzer Zeit in der ganzen Welt bekannt. Noch heute brennen Pressgaslampen Ihres Werkes in den Hauptstraßen der Stadt Berlin neben vielen Tausenden von Niederdruckstarklichtlampen. Auf der Grundlage Ihres umfassenden Wissens konnten Sie das Ihren Namen tragende Werk zu der heutigen imposanten Höhe führen. Mit vorbildlichem Fleiß und besonderer Pflichttreue stehen Sie noch heute diesem Werke persönlich vor. Fürwahr ein bewundernswerter Erfolg eines arbeits- und mühereichen Lebens."

Wir haben hier den deutschen Industrie-Pionier, der auf dem engen Boden väterlicher Arbeit weiter zu bauen begann und nicht nur Baumeister seines Werkes, eines großen Familienunternehmens, wurde, sondern dem technischen Fortschritt einen wertvollen, unvergeßlichen Beitrag leistete, der mit nie ruhendem Geist vorwärtsstrebend, nicht immer nur an den Ertrag seiner Arbeit, sondern auch an die Verbesserung seiner Arbeit und ihre Dienstbarmachung für die Allgemeinheit dachte. Der Charakter dieses eigenartigen Mannes, der gewiß ein Kind des Glückes gewesen ist, denn nicht nur Kraft, Wissen, Können und Wollen führen zum Erfolg, sondern auch gütiges Spiel einer unergründlichen Macht, offenbart sich in seinem Leben und Streben, in seiner Arbeit und seinem Erfolg, - wird deutlich durch das eigenartige Lebensschicksal, das ihm beschieden war und das sich so einzigartig von dem vieler abhebt. Ungebärdig schüttelte er als Schüler die Beengung von sich, setzte das Letzte ein, um, aus dem Wasser gezogen, dennoch nach Amerika zu kommen und faßte einen Glückszufall dort mit zwei starken Fäusten. Er kehrte zurück, wissend und geläutert, er brachte mit den Blick für die Weite, die Aufgeschlossenheit eines Menschen, der über die Enge der Zeit und die Enge eines Kreises hinaus tätig sein mußte und ein Ziel in der Ferne nicht aus dem Auge ließ, der sich einpaßte , aber dennoch sich nie ganz verleugnete, sondern aus seinen reichen Erfahrungen in den stürmischen Jugendtagen Lehren für sein ganzes Leben zog.

So war es erklärlich, daß, wenn auch kein patriarchalisches, so doch stets herzliches Verhältnis zwischen ihm und seinen Arbeitern und Angestellten herrschte, er immer mit vollem Herzen an ihren Freuden teilnahm und helfend und beratend seine Hand auftat und seinen Rat gab, sobald es nötig war. Er war beliebt und wurde verehrt. Er war unter der Jugend der zuverlässige Freund, als Jüngling der Kamerad und Sportsmann, der schon dem Kronprinzen Friedrich nach einem Rudersieg das Lob abrang: "Solche Männer können wir gebrauchen", er war unter den Bürgern aufgeschlossen, mit jedem, mit dem er zu tun hatte, auf vertrautem Fuße, und er war in der Industrie schließlich der Mann, der etwas nachweisen konnte und sich auch durch mächtige Kapitalgesellschaften nicht bluffen ließ, er verlangte Anerkennung und erhielt sie, weil er etwas geleistet hatte in seinem Leben.

Aus seiner Arbeit konnte er sich auf sein Rittergut Ganz in der Ostprignitz zurückziehen und endlich mit siebenzig Jahren eine alte Sehnsucht erfüllen. Aber auch dort blieb er, der geborene Techniker und Erfinder, am Werk und mühte sich, der Technik in der Landwirtschaft das Feld zu ebnen. Als seine beiden Söhne, auf sich gestellt, sein Werk weiterführten, fanden sie wichtige soziale Einrichtungen vor, von denen der Vater nie viel gesprochen hatte. Er pflegte zu handeln, nicht um Lob zu sorgen. Und sie fanden ein Werk, das mit starkem Pulsschlag lebte und rund zweitausend Arbeiter beschäftigte.

Als dieser Mann, dessen Arbeit und Charakter Achtung und Anerkennung erworben hatten, schließlich am 8. September 1936 auf seinem Landsitz starb, spürte man im Werk die große Lücke, die er dort hinterlassen hatte. Alles, was er in vierzig, fast fünfzig Jahren geschaffen, langsam aber sicher zusammengefügt hatte, blieb zurück als Stück von seinem Wesen, verlangte sorgsame Pflege und würdige Fortsetzung.

Daß die dritte Generation, seine Söhne, die sein Erbe übernahmen, aus seinem Holz sind, beweist schon der Aufstieg des Werkes von zweitausend Arbeitern (seit dem Ausscheiden des Vaters bis heute) auf dreitausendfünfhundert. So ist alle Sicherheit vorhanden, daß dieses Familienerbe in die Zukunft wachsen wird, unerschütterlich weiter steigend, getragen von den Kräften eines Blutes, das von der Grundsteinlegung des Werkes an Eigenschaften gezeigt hat, die Männer als deutsche Industrie-Pioniere aus der Masse der Planenden zu heben vermochten.

Auch die Geschichte von Ehrich & Graetz zeigt von neuem, wie der Aufstieg der meisten deutschen Familienunternehmen von kleinen und kleinsten Anfängen zu gewaltiger Größe erfolgen konnte. Einer legt den Grundstein, sein Ahnen, sein Blick, sein Können war die erste Triebkraft. Aber dieser Pionier, dessen Arbeit gerade den Rahmen abstecken und den Söhnen und Enkeln den Weg weisen konnte, mußte Erben haben, die seine Ziele erkannten, sich für sie begeisterten und nun weiterbauten, unbeirrt, bis sie zum Erfolg kamen, oder das Werk soweit weiter förderten, daß es ihre Söhne schließlich abrunden können in Größe und Ansehen. So vererben sich nicht nur Charaktereigenschaften, Berufsneigungen, sondern auch jene großen Talente, die heute noch den Industrie-Pionier formen.


Aufgestöbert und fürs Internet aufbereitet durch Jürgen Breidenstein, STUGA-CABAÑA. jb@hytta.de Weiterverwendung der Scans und des digitalen Textes nur mit ausdrücklichem Einverständnis.